von
NeuDelli
Neues Spiel, neues Glück
Als ich im Jahr 2006 zum ersten Mal davon hörte, dass ein neues Computerspiel in der Welt des Schwarzen Auges auf den Markt kommen sollte, konnte ich meine Begeisterung kaum noch bremsen. Endlich, dachte ich, endlich bekomme ich die Gelegenheit dazu eine in sich geschlossene visualisierte Version meiner Lieblingswelt zu genießen. Zwar war bereits in den 90ern die Nordlandtrilogie erschienen, doch damals war ich noch zu jung und besaß keinen Computer. Als ich endlich, ungefähr fünf Jahre später, einen PC mein Eigen nannte, waren ich und der technologische Fortschritt bereits zu weit entwickelt, um mich noch mit den isometrischen Pixelbergen abzugeben.
So kam es, dass mein Herz vor Vorfreude auf und ab hüpfte, denn nun würde ich doch noch mein DSA-Computerspiel bekommen. Bald schon erfuhr ich tolle Sachen über das Spiel: Visuell habe man sich an Caspar David Friedrichs romantischer Malerei orientiert, hieß es. Man hätte das Beste aus Baldur‘s Gate und anderen berühmten Genrevertretern zu etwas Neuem und phantastischen verschmolzen und man würde sich extrem nah am Rollenspielregelwerk halten.
Da erhielt meine Euphorie zum ersten Mal einen Dämpfer und ich begann mir Fragen zu stellen. Nah an den Pen&Paper-Regeln? Warum? Ich betrachtete die aktuelle 4. Regeledition und ihre über 1500 Seiten umfassenden Regelwerke, dachte an die seit Jahren nicht abebbende Diskussion, die die Fans und Spieler dieses Systems miteinander in allen vorstellbaren Foren und Plattformen führten. Selbst in meinen eigenen DSA-Gruppen herrschte tiefste Uneinigkeit darüber, ob man sich mit der Übernahme dieser Regeln einen Gefallen getan hatte oder ob es ein Fehler gewesen war. Manchen waren sie längst überfällige Reform, anderen immer noch viel zu anachronistisch, manche erkannten in den neuen Mechanismen das Potenzial zur Wiedergeburt andere sahen ihr Lieblingssystem in einem unüberschaubaren Chaos von Optional- undSpezialregeln untergehen. Nichts hatte meinem Eindruck nach die Spielergemeinde des Schwarzen Auges je so tief gespalten und auch in Atem gehalten wie DSA 4.1.
Oder hatten die Herrschaften von Radonlabs von der 3. Edition gesprochen. In den Spielen der Nordlandtrilogie hatte sich DSA 3 bewährt und es hatte noch immer viele Anhänger, die es dem neuen System bei weitem vorzogen. Andererseits waren das wohl größtenteils Nostalgiker, die sich weiterhin in dem System am wohlsten fühlten mit dem sie ins Rollenspiel oder zumindest in die DSA-Welt eingestiegen waren. Doch ich war auch aus einem anderen Grund skeptisch geworden, denn plötzlich befiel mich die Sorge, dass die Herrschaften Programmierer vielleicht zu eifrig dabei waren es den Rollenspielern recht zu machen.
Denn ein Computer-RPG ist kein P&P-Rollenspiel. Es muss völlig andere Anforderungen erfüllen und niemand erwartet, dass ein Computerspiel einem die Möglichkeit gibt jede noch so beknackte Schnapsidee in die Tat um zu setzen. Bei einen P&P-RPG ist das ganz anders, das Regelsystem muss dort auch dafür sorgen, dass sogar die Dinge ermöglicht werden, die nicht bei der Konzeption antizipiert und vorhergesehen wurden. Kämpfe gestalten sich fundamental anders und auch soziale Interaktionen eines Tischrollenspiels sind nicht mit Gesprächen in Computerspielen zu vergleichen auch mit dem ausgefeiltesten Dialogsystem nicht. Ich hoffte also man würde sich nicht zu sehr von dieser Vorgabe dominieren lassen.
Deutlich wichtiger waren mir jedoch die Beteuerungen man würde große Sorgfalt darauf verwenden die DSA-Welt detailgetreu umzusetzen. Man würde Ferdok und den Kosch nach allen Vorgaben der Regionalbeschreibungen Gestalt annehmen lassen und scheue keine Mühe mithilfe der Spielhilfen (Zoobotanica Aventurica, Stäbe Ringe Dschinnenlampen, etc.) auch den allgemeinen Teil der Welt auszugestalten. Schließlich hatte man ja auch die DSA-Redaktion mit ins Boot geholt. Die vollmundigen Versprechen verdichteten sich, man hörte von Testspielern und las ambitionierte Interviews. Und Promo-Fotos sowie Interwies schienen nun auf die 4. DSA-Edition zu verweisen. Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch schon etwas desillusioniert ich hatte lange genug darüber nachgedacht und endlich erkannt, dass es vermutlich keinem Computerspiel gelingen könnte, meine Erwartungen an eine DSA-Lizenz zu erfüllen. Und so ging ich dem Tag der Veröffentlichung inzwischen recht gelassen entgegen. Als es schließlich erschien war der Augenblick der Wahrheit gekommen. Ein alter DSA-Freund und ich setzten uns an das Spiel und wir begannen es zu spielen.
Versprechen lohnt sich nicht
Tja, und in der Tat war ich gut damit beraten, die etwas hochgestochenen Ankündigungen mit Skepsis zu betrachten.
Denn von der ersten Spielminute an sah ich überall „Regelverstöße“: Bereits die Erschaffung hatte eine recht eigene Mechanik und war nur schwer mit den Erschaffungsregeln des P&P-Rollenspiels zu vergleichen. Wo war die Rassen-, die Kultur- und vor allem die Professionsauswahl? Was war mit den selbst gewählten Vor- undNachteilen geschehen oder Sonderfertigkeiten? Dass die in der DSA-Erschaffung so wichtigen Generierungspunkte (GP) hier der Einfachheit halber durch Abenteuerpunkte (AP) ersetzt wurden, war da noch geradezu harmlos. Stattdessen gab es eine (durchaus ansehnliche) Palette von Archetypen die den DSA-Veteranen jedoch verdächtig an die Heldentypen des DSA 3-Regelwekes erinnerten.
Nachdem wir uns nun auf diese Weise einen Streuner erschaffen hatten konnten wir endlich ins Spielgeschehen einsteigen. Wir arbeiteten uns durch Avestreu, fragten uns durch Ferdok, Kämpften uns durch Moorbrück und, und, und. Nach und nach wurde mir dabei immer deutlicher, dass die an die DSA-Community gerichteten Versprechungen vielleicht etwas überambitioniert waren.
DSA-Regeln? Eins zu eins? Naja. Die Anzahl der Talente war wesentlich Geringer als in der Pen&Paper-Vorlage. Sie waren im Computerspiel ganz anderen Talentgruppenzugeordnet und hatten zu guter Letzt auch völlig andere Funktionen. So waren Tier- und Pflanzenkunde plötzlich Naturtalente, Magiekunde ersetzte alle Analysezauber des Regelsystems und die Talente Feilschen und Fallen entschärfen wurden neu aus der Taufe gehoben. Auch alle anderen Bereiche der Regelmechanik waren durch und durch anders als in den DSA4-Regeln. Der Kampf war zwar durch viele Sonderfertigkeiten und Manöver geprägt, die man auch aus den Rollenspielregeln kannte, doch die meisten von ihnen hatten deutlich andere Auswirkungen und Effekte. Hier nun wurde mir endlich auch klar wie der (wie ich fand) himmelweite Unterschied zwischen den Rollenspielregeln und der Computerspielemechanik zustande kam. So spielt im DSA-P&P in den Kämpfen die sogenannte „Ansage“ eine zentrale Rolle. Sie ist ein meist selbstauferlegter Malus beliebiger Höhe und ermöglichtes je nach Manöver mal mehr Schaden zu erzielen oder die Abwehr des Gegners zu erschweren. Die Ansage suchte ich im Drakensang-Kampf jedoch vergeblich. Doch wie sollte man in einem Computerspiel auch bei jedem zweiten Manöver einen freien Malus behandeln? Das wäre ein schwer zu realisierender Aufwand. Im Fernkampf zeigte sich auch ein anderer Umstand, der so manches erklärte. Das DSA-Regelwerksieht eine ganze Reihe von speziellen Fernkampfmanövern vor die nur mit Schusswaffen oder nur mit Wurfwaffen nutzbar sind im Computerspiel jedoch hatte jedes Schusswaffenmanöver ein Pendant bei den Wurfwaffen und umgekehrt. Hätten die Programmierer der Drakensang-Reihe das nicht getan, wäre ein Ungleichgewichtim Spiel entstanden und vermutlich wäre das Balancing dahin gewesen.
Mir dämmerte, dass der Großteil der veränderten Spielregeln vermutlich einfach darauf zurückzuführen war, dass (wie eingangs bereits Erwähnt) ein Computerspiel ganz andere Ansprüche an ein Regelsystem stellt, als dies eine Pen&Paper-Rollenspiel tut.
Damit ließ sich nun so einiges erklären. Das fehlen aller Sonderfertigkeiten zum Beispiel (außer im Kampf), die Verringerung der Anzahl der Zauber bis auf diejenigen die im Kampf nutzbar sind (von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen), der Umstand, dass sämtliche Vor- und Nachteile auf Probenmodifikatoren reduziert wurden, das vollständige Fehlen von Talenten, die Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit (da es im Spiel keine Möglichkeiten zum Klettern, Springen, Sprinten, etc. gibt), das Lenken von Fortbewegungsmitteln oder die Erledigung von Berufstätigkeiten (Kochen, Töpfern, Abrichten) abbilden und natürlich die Regeln für göttliches Wirken die überhaupt keinen Bezug zum DSA haben. Doch es gab noch andere Abweichungen die sich nicht durch die Bedürfnisse eines Computerspiels erklären ließen.
So zum Beispiel die Zuordnung von Talenten und Zaubern in Gruppen die nicht dem DSA4 entsprechen. Es hätte sicherlich keinen nennenswerten Einfluss auf den Spielablauf gehabt Pflanzenkunde, Tierkunde und Alchimie bei den Wissenstalenten einzuordnen und die Heilkunde Talente zu den Handwerken zu gesellen (wie dies in den DSA-Regeln der Fall ist). Das Selbe gilt für das neue Talent Feilschen. Das hätte genau wie im P&P durch Überreden abgedeckt werden können (dadurch wäre dieses auch etwas sinnvoller geworden). Schließlich hat im DSA4 die Stufe des Helden keinerlei Bedeutung, stattdessen werden die Maximalwerte durch die höchsten beteiligten Eigenschaftswerte gedeckelt. Auch die seltsam starre Erschaffung scheint mir für ein Computerrollenspiel nicht notwendig zu sein, beweist uns doch zum Beispiel Bethesda bereits seit Jahren, dass sich eine Erschaffung mit verschiedenen Rassen und einer freien Fertigkeitsgestaltung durchaus realisieren lässt.
Meiner Ansicht nach musste es dafür eine andere Erklärung geben. Als langjährigem DSA-Spieler und –Fan fiel mir dabei jedoch schon früh auf, dass all diese Unregelmäßigkeiten ein Muster aufweisen. Es sind Versatzstücke aus dem älteren DSA-Regelwerk der 3.Edition. Damals waren die Talente noch anders sortiert. Die Zauber waren (ähnlich wie die Talente) in Gruppen geordnet, Feilschen war ein eigenes Talent, die Erschaffung basierte auf vorgefertigten sogenannten Heldentypen und die Stufe des Helden war von zentraler Bedeutung.
Spiel ohne Regeln
Hierbei zeigte sich nun wirklich für welches DSA-Regelwerk sich die Herrschaften von Radonlabs entschieden hatten: Für beide. Nun ob man das noch dicht an den Regeln nennen kann muss wohl jeder für sich entscheiden.
Es schien mir jedenfalls recht offensichtlich, dass diejenigen die bei Radonlabs für das Regelwerkzuständig waren, nicht ohne ein gehöriges Maß an Nostalgie an das Projekt herangegangen waren. Warum sonst sollte man sich nach Regeln richten die (zu diesem Zeitpunkt) seit über fünf Jahren nicht mehr verlegt wurden? Diese Einschätzung passt auch recht gut mit der Selbstdarstellung des Projekts zusammen. War Bernd Beyreuther doch nie müde geworden zu betonen, dass es sich bei vielen Beteiligten um alte eingefleischte DSA-Spieler handelte. Da er und seine Mitarbeiter aber vermutlich irgendwann Ende der 80er mit dem Rollenspielbegonnen haben dürften, waren sie sicher noch stark von den damaligen Ideen und Konzepten geprägt.
Am Schluss bleibt eigentlich nur die Frage, welche Rolle spielt das überhaupt? Allen die sich nicht in die Grabenkämpfe und heftigen Diskussionen um die Regeleditionen hineinziehen ließen, wird das alles herzlich egal sein und diejenigen, die erstdurch Drakensang und „Am Fluss der Zeit“ mit Aventurien und den DSA-Regeln in Kontakt kamen, kann so etwas nicht aufgefallen sein. Auf die eine oder andere Art bin ich jedenfalls inzwischen mit dem Spiel ausgesöhnt. Denn das Spielen von Drakensang und seinem Nachfolger hat mir großen Spaß gemacht, die DSA-Welt ist ganz schön umgesetzt worden (wenn auch sicher nicht perfekt) und viele kleine nette Ideen haben Drakensang zu einer lebendigen und liebevoll gestalteten Spielreihe gemacht. Auch wenn ich immer noch denke, dass man mir die eigenartige Erwartungsachterbahn, die ich erlebte hatte, ersparen können wenn durch offizielle Verlautbarungen vielleicht etwas weniger auf den Putz gehauen und stattdessen vielleicht etwas tiefer gestapelt worden wäre.
In dem Sinne
Euer NeuDelli
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