Die Animation bei „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ oder Spieglein, Spieglein an der Wand, wer schneidet die besten Grimassen im Land?
Im sechsten von insgesamt 15 Entwicklertagebüchern wollen wir euch die Arbeit unserer Animatoren vorstellen. Man könnte sie auch die Puppenspieler des Computerspiels nennen, denn sie haben die Fäden in der Hand, die die Figuren im Spiel bewegen. Unsere Animatoren hauchen damit nicht nur den Charakteren im Spiel Leben ein. Auch die Bewegung eigentlich lebloser Gegenstände, mit denen Interagiert wird, sind ihrer Arbeit zu verdanken. Ketten eines ganz bestimmten Monsters oder wertlose Gegenstände in einem Lagerhaus, mit denen etwas ganz Bestimmtes passiert... Aber das wollen wir noch nicht verraten. Vielleicht könnt ihr es ja schon heraus finden? Schaut euch die schon veröffentlichten Screenshots an, dann bekommt ihr einen Hinweis!
Aber wie schaffen sie es, glaubwürdig die Bewegungen eines menschlichen, tierischen oder monströsen Charakters abzubilden? Dazu bauen sie sich zunächst einmal ein Skelett auf, um dann dessen einzelne Knochen zu animieren, sprich „lebendig werden zu lassen“. Diese Knochen können sie dann jedem beliebigen Charakter geben, indem sie einfach die Haut der Figuren „an- oder ausziehen“. Um die Knochen so realistisch wie möglich zu animieren, brauchen unsere Animatoren ein gutes anatomisches Verständnis.
Aber auch eine gute Beobachtungsgabe und ein Gefühl für Timing sind unerlässlich bei der Kunst der Animation. Bewegungen müssen genau studiert und präzise eingesetzt werden, um sie so naturgetreu wie möglich aussehen zu lassen. Für die Animation von Tieren gibt es viele Online-Bibliotheken, in denen unsere Abteilung Animation fündig werden kann, wenn sie nach guten Studienobjekten sucht. Aber auch Youtube ist ein unerschöpflicher Quell. Dort stellen viele Hobby-Tierfilmer ihre Beiträge ein, die unseren Animatoren als Orientierung dienen, um Anatomie und Bewegungsabläufe besser verstehen zu können.
Für die Animation von Menschen bzw. menschlichen Charakteren hilft der Blick in den Spiegel, vor allem, was die Mimik betrifft. Um letztere bei den Charakteren so täuschend echt wie möglich wirken zu lassen, schauen sich unsere Animatoren das Spiel ihrer eigenen Gesichtsmuskeln genau an. Es dient ihnen dann als Vorbild für die Animation der humanoiden Figuren. Das kann durchaus zu einer recht lustigen Angelegenheit werden, vor allem, wenn es gilt, Monster Grimassen schneiden zu lassen. Auch da dient als Vorlage die eigene Schauspielkunst vor dem Spiegel.
Apropos Monster: Woher nehmen unsere Animatoren für die Bewegungen von Kreaturen, die real gar nicht existieren, ihre Vorbilder? Da solche Kreaturen meist von Tieren, häufig auch von Urzeittieren abgeleitet sind, können sie auf deren Bewegungsapparat zurückgreifen. Es gibt ja genügend Dinosaurierfilme, die sie sich dafür anschauen können. Bei dem Ghul, einer humanoiden Figur, hat sich unsere Animationsabteilung von dessen Aussehen inspirieren lassen. Er ähnelt optisch sowohl einem schlaksigen Affen als auch einem Zombie. Also wurden seine Bewegungen, Gesten und Mimiken dem angepasst.
Der Ghul wurde übrigens, ebenso wie zum Beispiel der Golem, mit Motion-Capturing animiert. Beim Motion-Capturing führen Schauspieler auf eigens dafür vorgesehenen Flächen, sogenannten „Capture Volumes“, die Bewegungen der Figuren aus, die dann mit Infrarotkameras aufgezeichnet werden, Dabei tragen die Schauspieler schwarze Anzüge mit weißen Reflektorpunkten. Letztere sind wichtig, damit die Infrarotkameras die Bewegungen überhaupt aufzeichnen können. Diese Aufnahmen werden dann auf die Skelette der Charaktere übertragen. Für realistische Animationen ist Motion-Capturing der beste Weg, denn es ist ungeheuer schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Bewegung mit all ihren Nuancen wirklich ganz getreu wiederzugeben. Für qualitativ hohe Motion-Capturing-Aufnahmen braucht es gute Schauspieler, die sich in die Figur hineinfühlen können. Zur Unterstützung greifen wir auch zu kleinen Tricks: So wurde dem Schauspieler, der den Golem nachahmen sollte, Blei an die Arme und Beine gebunden, um seine Bewegungen einerseits schwer, andererseits aber auch kraftvoll wirken zu lassen. Darum haben unsere Animatoren auch mit Centroid in den renommierten Pinewood-Studios in London zusammengearbeitet.
Für „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ wurden die Motion-Capture-Aufnahmen speziell für die Cutscenes gemacht, die dadurch wesentlich lebendiger und spannender wirken werden als noch in „Drakensang“. Bei „Drakensang“ wurde auch schon mit Motion-Capturing gearbeitet, allerdings noch nicht speziell für Cutscenes, sondern hauptsächlich für Kampfszenen und Spielmechanik. Diese Animationen wurden dann für die Cutscenes wieder verwendet.
Um gute Motion-Capture-Aufnahmen zu erreichen, sind unsere Animatoren so vorgegangen, als würden sie bei einem Film Regie führen. Sie haben sich vor den Aufnahmen genau überlegt, wie sich die Schauspieler bewegen sollen, was sie dabei reden sollen und so weiter. Während der Aufnahmen konnten sie darum den Mimen präzise Anweisungen geben. Dieser durchaus anstrengende Teil bei der Entwicklung von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ hatte aber auch immer etwas Spielerisches und hat uns allen, nicht nur unseren Animatoren, viel Spaß bereitet.
Neben der äußerst naturgetreuen Animation hat das Motion-Capturing auch den Vorteil, dass die Sachen im Vergleich zur „Handarbeit“ sehr viel schneller fertig animiert werden können. Für einen Charakter zum Beispiel, der einfach nur gehen soll, bräuchten unsere Animatoren, wenn sie ihn per Hand animieren wollten, im Schnitt drei Tage. Mit Motion-Capturing lässt sich diese Animation, inklusive der Nacharbeit, in einigen Stunden erledigen. Nacharbeit deshalb, weil unsere Animatoren das, was aus dem Studio kommt, nie ganz zu hundert Prozent übernehmen können. Sie müssen es immer noch ein wenig bearbeiten – um Posen noch deutlicher hervorzuheben oder stellenweise Bewegungen zu übertreiben, weil derart betonte Posen und Bewegungen im Spiel einfach besser wirken.
Motion-Capturing spart uns also eine Menge Zeit und Arbeit, weswegen wir es bei einem großen Teil von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ angewendet haben. Dennoch werden auch immer noch handgemachte Animationen für das Spiel benutzt, denn einige Monster können unmöglich von Schauspielern imitiert werden.
Bei „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ ist es von Vorteil, dass schon eine große Bibliothek an Animationen vorhanden ist. Pro "Skelett" – Mann, Frau, Zwerg – gibt es mittlerweile bereits jeweils an die 500 Animationen. Viele davon basieren auch schon auf Motion-Capturing. Diese wurden angepasst oder einfach übernommen. So werden die Bewegungen der Figuren im Vergleich zum letzten Teil immer mehr und besser.
Wenn ihr also demnächst an den Ufern des großen Flusses gegen Monster kämpft, könnt ihr ja mal versuchen, euch vorzustellen, wie das ausgesehen haben muss, als unsere Animatoren ihre Grimassen vor dem Spiegel geübt haben oder im Büro herum gesprungen sind, um die richtigen Bewegungen zu finden.
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