Die Hamburger Spieleschmiede Daedalic scheint nicht nur Gefallen an der Welt des Schwarzen Auges gefunden zu haben. Inzwischen darf es ruhig als Fakt genannt werden: Den Jungs und Mädels von Daedalic gefällt die DSA-Welt sehr. Nicht nur, dass sie mit dem kommenden Knobelkampfspiel „Blackguards“ noch einen weiteren aventurischen Titel in der Mache haben. Nein, es wurde vorher kräftig am Nachfolger von „Satinavs Ketten“ geschraubt und gewerkelt, der nach dem abrupten und tragischen Ende vom Vorgänger uns endlich darüber Aufschluss gibt, wie es mit Geron und Nuri weitergeht. Das Ganze trägt den unvergesslichen Namen „Memoria“ und erzählt neben der Geschichte vom Vogelfänger und der Fee, auch die von Sadja, einer unerschrockenen und wenig zart besaiteten Prinzessin aus dem tulamidischen Fasar. Beide Handlungen sind geschickt dramaturgisch miteinander verwoben und entfachen schnell eine Tragweite, deren Epik, die von „Satinavs Ketten“ noch einmal sprengt.
Die geerbten Schwächen des Vorgängers
„Memoria“ setzt nicht nur direkt nach „Satinavs Ketten“ an, es sieht auch haargenau so aus und spielt sich nicht großartig anders. Wer es ganz kurz haben möchte und wem der Vorgänger gefallen hat, kann sich bedenkenlos ein Weiterlesen sparen und sich gleich ans Zocken machen. Er beziehungsweise sie wird nicht enttäuscht sein. Wen dennoch weiter Zweifel plagen oder wer einfach gerne liest und gerade so schön im Fluss ist, dem seien die folgenden Zeilen sehr ans Herz gelegt.
„Memoria“ hat nämlich viele Schwäche aus seinem „Quasi-Vorgänger“ (Zitat Gamestar) einfach übernommen. Die Hintergründe sind immer noch wunderschön gezeichnet, die Animationen sind dafür schlicht und ergreifend alles andere als schön. Es mag ein Stilmittel sein. Es mag technische Gründe haben. Es mag sogar Vielen genauso wie es ist gefallen. Doch abgehackte und steife Bewegungen können sicherlich die karge Technik mehr hervorheben, als es dem Spieler lieb ist. In meinen Fall sorgte das für eine, vom Vorgänger bereits bekannte, Eingewöhnungszeit und etwas Frust beim Verlorengehen der Immersion. Die Soundeffekte abseits von Musik und Sprachausgabe sind, gelinde gesagt, dünn. Zwar werden wir häufig mit entzückendem Vogelgezwitscher, stimmigen Trittgeräuschen beim Gehen oder auch geheimnisvollen Rascheln in einer Bibliothek beschallt, dennoch wirken diese meist ausschnitthaft. Immer noch geben die Schweine kein einziges Grunzen von sich, Kinder baden stumm in einem Zuber und wirken damit irgendwie mehr wie eine Dekoration, als denn authentische Hintergrundwelt.
Nun mag es bei DSA-Spielern sich ungefähr so verhalten, wie bei der Fußballnationalmannschaft. Jeder Zuschauer und Fan ist ein Bundestrainer, der es besser weiß und es sicher auch selbst tausendmal besser gemacht hätte. Die kurze Spielzeit von 2-3 Tagen tut ihr übriges, um Daedalic den Gnadenstoß zu geben und ihnen in aller Deutlichkeit zu sagen: „Wenn ihr Bundestrainer wärt, dann wärt ihr jetzt euren Job los. Kaum Verbesserungen zum letzten Turnier. Die Mannschaft spielt ganz ordentlich, aber so holt sie niemals den Pott.“ Wem das jetzt ein Hauch zu viel Sportanalogie ist, dem sei auch gesagt: Es ist bei Weitem nicht so schlimm, wie sich die ganzen Kritikpunkte lesen. Natürlich hätte ich gerne lieber 2 Wochen als 2 Tage in Daedalics Aventurien verbracht. Selbstverständlich hätte ich gerne fließende Animationen, wie beispielsweise aus dem aktuellen „Bioshock Infinite“. Und dann noch Soundeffekte wie aus „Dead Space“. Aber bleiben wir mal realistisch und ein bisschen auf dem Teppich. Eine Änderung des Animationsstils hätte sicherlich einen stilistischen Bruch zum Vorgänger bedeutet. Die Soundeffekte könnten zwar reichhaltiger vorhanden sein, werden aber von wunderschöner Musik gekonnt vertreten und die Spielzeit scheint bei Daedalic einfach so angelegt. Kurz gesagt: Ein Spiel mit Schwächen, aber ein kein schwaches Spiel.
Rätsel enträtseln hält jung und macht schön
Es gibt sicherlich noch mehrere Mängel an denen herumzumäkeln wäre. So sind die Rätsel Großteils auch sehr amüsant, aber häufig doch etwas zu einfach. Dennoch unterhalten sie und sind kreativ umgesetzt, sodass die ein oder andere kleine Knobelei nicht erspart bleibt. Nerven können gewisse Kopfnüsse, die nach einer bestimmten Antwort verlangen. An einer Stelle müssen wir einem Magier zum Beispiel eine Geschichte auftischen, die er sich besonders schwer merken kann. Wir erzählen Nuri, was sie ihm genau vorflunkern soll und müssen dabei exakt die richtige Kombination an möglichen Antworten auswählen, sonst bleibt der Trigger aus, der uns dem Ende der Rätsels wieder ein Stück näher bringt. Das Ärgerliche an diesen Rätseln ist, dass es auch durchaus vorkommt, dass kein Hinweis auf ihre Lösung gestreut wurde und es in stupides Trial & Error ausarten kann. Was dann je nach Frustlage auch mal zum Nervfaktor werden kann.
Doch eigentlich hält sich Memoria mit solcherlei Beschäftigungstherapien angenehm bedeckt und versteht es den Spieler zu motivieren und ihm lösbare, gut durchdachte Rätsel vorzusetzen, die Spaß machen. Sie haben also das Genre Adventure nicht neu erfunden und es gibt sicherlich Vertreter, deren Grad an Knobelei höher angesiedelt ist.
Ich persönlich zehre am meisten noch von meinen Erfahrungen aus den Lucas-Film-Games/Lucas-Arts-Zeiten. Mit Indy Atlantis entdecken, mit Guybrush ein mächtige Pirat werden, waren für mich glorreiche Momente einer Zockerjugend, an die ich gerne zurückdenke. „Beneath a Steel Sky“, „Simon the Sorcerer“, „King’s Quest“, „The Legend of Kyrandia“. Ich gebe zu, am liebsten spielte ich früher Point-&-Click-Adventure und, dass das auch viele der Mitarbeiter von Daedalic tun, zeigte sich auch im Abspann. Da wurde nämlich neben dem Kickertisch im Aufenthaltsraum, unter anderem auch Lucas Film Games, den Westwood Studios, Sierra und noch weiteren prominenten Vertretern der vergangenen Adventure-Szene gedankt. Gerade aber Ron Gilberts größter Erfolg, „Monkey Island“, wird in „Memoria“ durch mehrere Anspielungen, wie dem Labyrinth im Moor oder der Übersichtskarte von Andergast liebevoll zitiert.
Eine Welt du mal wieder zu retten hast
Kommen wir zu einer der größten Stärken des Spiels: der Story und den Charakteren. Daedalic kann Adventure und das wissen sie auch. Als Spezialisten verstehen Sie es auch, die komplexe Story mit den verschiedenen Zeitebenen genauso so zu arrangieren, dass sie nicht nur verständlich wirkt, sondern auch fesselt. Die Inszenierung ist wirklich klasse und lässt wohl kaum einen Freund der aventurischen Welt unbefriedigt zurück. Man merkt, dass da viel DSA-Fachkompetenz hinter steckt und, dass die nicht allein von ein paar Fans kommt, die zufällig Spieleentwickler geworden sind.
Es wurde ja schon verlautbart, dass Hadmar (von) Wieser die Festung „Drakonia“ entworfen hatte und bei Daedalic auch beratend tätig war. Dies war sicherlich keine falsche Entscheidung, denn dieser Mann hat einige der bekanntesten DSA-Abenteuer geschrieben, aventurisches Hintergrundwissen erweitert und zusammengetragen. Zwar kam er erst 1986, also zwei Jahre nach der Entstehung von „Das Schwarze Auge“, zur Redaktion hinzu, jedoch gilt er in DSA-Kreisen sowohl als streitbar, als auch als Koryphäe.
„Memoria“ ist also eine DSA-Geschichte, wie man sie gerne mal als Roman lesen würde. Sie ist wie aus ein Guss, nimmt einige überraschende Wendungen, entführt uns an fantastische Orte und hält unvergessliche Charaktere bereit. Nuri kommt zwar etwas kurz, dennoch ist sie immer noch ein Brunnen voller Spaß, Witz und Esprit. Der Stab von Sadja, dessen Synchronstimme in mehreren Magazinen als teilweise unpassend kritisiert wurde, überzeugt durch lustige Wortgefechte mit seiner Trägerin und, wie ich finde, eine äußerst angenehme Stimme, der man einfach gerne zuhört. Andere Persönlichkeiten, wie die vorwitzige Magierin, Bryda, der undurchsichtige fahrende Händler, Fahi, oder auch Xerxes, ein Magier ohne Beine, der mithilfe eines Luftelementars fliegen kann, sind nur ein kleiner Auszug an bunt schillernden Charakteren, die so schnell nicht in Vergessenheit geraten werden.
Satinav kommt in Mode und die Zukunft des Adventures
Zeitparadoxen mögen dem einen die Haare raufen lassen, andere werden sich interessiert an frühe Science-Fiction a la Stanislaw Lem erinnert fühlen. Die Zeit ist uns Menschen unbegreiflich. Fließt sie nur in die eine Richtung? Nehmen wir sie nur so wahr? Ist Zeit wirklich relativ wie Magister Zweistein einst sagte? Wie schon bei „Satinavs Ketten“ und „Am Fluss der Zeit“ wird auch hier wieder dieses uns Menschen so schwer verständliche Thema aufgegriffen. Doch passiert das mit wirklich viel Geschick, aber auch einer gehörigen Portion Chuzpe, was der Story sehr gut tut.
Daedalic hat gewagt und gewonnen. Es ist eine wunderschöne Zeit, die man mit Geron, Sadja, Nuri und all den anderen verbringt, die durch eine punktgenaue Inszenierung und viel Wortwitz noch brillant verfeinert wird. Leider hält sich nicht nur die Spielzeit, sondern auch der Wiederspielwert in Grenzen, da es ganz am Ende gerade mal eine Entscheidungsmöglichkeit gibt, die wirklichen Einfluss auf einen weiteren Verlauf haben könnte. Seit längerem wird ja innerhalb der Adventure-Szene über Neuerungen diskutiert, die das Genre neu beleben könnten. Viele Entwickler haben schon darüber nachgedacht, dass Punktesystem von „Sierra“ zu reaktivieren, monierten dann aber, dass ein Spieler nicht gerne das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben. Bei „Memoria“ gibt es zumindest unter „Steam“ so etwas Ähnliches. Dort werden mehrere Errungenschaften freigeschaltet. So erhielt ich beispielsweise die Errungenschaft „Phex zum Gruße“, als ich abseits des Weges im Moor mit Sadja einem Fuchs begegnete. Eine nette Idee, die mich jedoch auch nicht dazu motiviert nach dem Durchspielen noch alle Errungeschaften zu finden und freizuschalten.
Und er sah, dass es gut war
Wie die Zukunft des Adventures aussehen mag, weiß wohl wieder mal nur Satinav allein. Fakt ist, dass Daedalic ein wirklich gutes Spiel hinbekommen haben, dass hier und da seine Schwächen hat, aber sicherlich (um den Vergleich aus der Review zum Vorgänger aufzuwärmen) das schönste virtuelle DSA-Bilderbuch ist, das es jemals gegeben hat. In dem Sinne wünsche ich euch viel Spaß und hoffe, dass auch euch „Memoria“ gefallen wird.
Eurer hangingtree