Das Environment-Design von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ oder Weshalb 150 Meter hohe Fichten keineswegs unrealistisch sind.
Im siebten von insgesamt 15 Entwicklertagebüchern stellen wir euch den Bereich Environment-Design vor. Dessen ehrenvolle Aufgabe ist es, der aventurischen Welt ihr unverwechselbares Aussehen zu geben. Frei nach dem Motto: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt.
Nachdem die Geschichte geschrieben wurde und unsere Level-Designer erste gestalterische Fixpunkte festgelegt haben, kommen unsere Spezialisten aus dem Environment-Design zum Einsatz. Sie modellieren die diversen Objekte wie Häuser, Felsen oder Bäume und überziehen sie mit stimmigen Texturen.
Dem geht natürlich eine wichtige Entscheidung voraus: Welchen Stil verwenden wir? Hier haben wir uns klar am Vorgänger „Drakensang“ orientiert. Einerseits sollte die Welt echt wirken, weshalb wir uns für fotorealistische Texturen entschieden haben. Andererseits durfte das Malerische in Form von idyllischen Natur- oder Stadtansichten nicht fehlen. Auch wollten wir keine übertriebene Welt mit gigantischen Festungen und kilometerhohen Türmen wie in „Herr der Ringe“ oder anderer High Fantasy. Stattdessen haben wir ein mittelalterlich-märchenhaftes Setting geschaffen, das an uns bekannte Gegenden erinnert.
Anregungen holten wir uns deshalb vor der eigenen Haustür: Thüringer Wald und fränkisches Fachwerk. Einsame Burgruinen und historische Stadtkerne. Die Quelle für geeignetes Material ist in Süd- und Mitteldeutschland nahezu unerschöpflich. Auch die Gemälde und Skizzen eines Ludwig Richters oder Carl Spitzwegs waren uns eine große Inspiration. In ihnen findet die romantische Sicht auf das Mittelalter einen ihrer Höhepunkte. All das – authentische mittelalterliche Vorlagen und Kunst aus dem 19. Jahrhundert – ist nun in „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ zusammengekommen und ergibt einen ganz eigenen, fantastischen Stil.
Damit aus der Theorie auch Praxis wurde, haben wir eigens für „Drakensang“ und „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ einen Fotografen engagiert. Insbesondere in Thüringen, Bayern oder Sachsen suchte er nach entsprechenden Motiven und lichtete sie ab. Hierzu gehören nicht nur ganze Bauwerke, sondern auch Detail-Objekte wie Herbstlaub oder die Rinde von Bäumen. Da „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ im Jahresabschnitt Spätsommer bis früher Winter spielt, benötigten wir außerdem eine Vorlage für Schnee – frischgefallenem Schnee –, der glitzert und diese einzigartige Atmosphäre erzeugt. Gebäude, Pflanzen usw. dienten uns dann als direkte Vorlagen für Modelle und Texturen.
Natürlich gibt es beim Fotografieren eine Menge zu beachten. So ist diffuses Licht grundlegende Voraussetzung, um Strukturen und Farben möglichst naturgetreu zu erfassen. Ein Teil der Bilder wurde deshalb in einem Studio gemacht, wo wir beispielsweise eine ganze Wildwiese mit mehr als 20 unterschiedlichen Pflanzenarten nachgebaut haben. Der Aufwand war zwar groß, aber das Ergebnis spricht für sich: Die aus den Bildern entwickelten Texturen sind gestochen scharf und in jeglicher Hinsicht authentisch.
Typisch für Mitteldeutschland sind auch seine herrlichen Fichtenwälder. Mussten wir bei „Drakensang“ noch auf dieses spezielle Kieferngewächs mehr oder weniger verzichten – unsere damalige Software Speedtree beinhaltete leider eher Pflanzengattungen aus der südlichen Hemisphäre – gibt es nun echte Fichten im Spiel. Das heißt, ihr werdet eure Abenteuer in einer denkbar glaubwürdigen Umgebung erleben.
Doch sind das bei weitem nicht die einzigen Neuerungen bzw. Verbesserungen gegenüber dem Vorgänger: So kommen in „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ moderne Shader-Effekte konsequenter zum Einsatz. Diese regeln die Oberflächenbeschaffenheit und ermöglichen hervorspringende Steine auf Mauern, Spiegelungen im Wasser und beeindruckendes Gegenlicht. Einen weiteren Lichteffekt werdet ihr bemerken, wenn ihr aus einiger Entfernung in einen Wald blickt. Das Licht wird schon jetzt etwas dämmriger – und nicht erst dann, wenn ihr den Wald betretet. Bei alldem achten wir darauf, euch mit Effekten nicht zu erschlagen. Effekte sollen die Spielatmosphäre fördern, sie verdichten, nicht aber sie zerstören.
Damit sich das Spiel richtig anfühlt, sind wir häufig gezwungen, zu improvisieren und manchmal auch zu tricksen. Stichwort Gebäudemodelle: Viele von euch haben sich bestimmt schon einmal gefragt, ob die Relationen zwischen der Außen- und der Innenperspektive tatsächlich stimmen. Wir verraten es euch. Häufig stimmen sie nicht. So sind die Räumlichkeiten in Wirtshäusern etwa um ein vierfaches größer als es von außen den Anschein macht. Die große Herausforderung für uns ist es hierbei, dass ihr diesen kleinen Trick nicht bemerkt, dass sich die Dimensionsverschiebungen „richtig anfühlen“.
Dasselbe gilt auch für die Pflanzenwelt: Fichten erreichen bei uns gerne mal eine Höhe von 150 Metern. Auf diese Weise stechen sie buchstäblich auch in einer felsigen Landschaft heraus und tragen so zu einem stimmigen Gesamtbild bei.
Genauso wie die fotorealistischen Texturen einen malerischen Anstrich bekommen, müssen auch die Dimensionen den bestimmten Spielanforderungen angepasst werden. Die Kunst ist es, die einzelnen Komponenten so zu arrangieren, dass Ästhetik und Funktionalität miteinander harmonieren – ganz in Anlehnung an die oben erwähnten romantischen Maler Richter und Spitzweg. Denn so erschaffen wir ein Aventurien, das nicht nur toll aussieht, sondern das auch viel Identifikationspotenzial besitzt.
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